«Störung der Geschlechtsidentität»: Warum diese transphobe Diagnose in den Müll gehört

Arin identifiziert sich seit zwei Jahren nonbinär. Als Arin die Diagnose «Störung der Geschlechtsidentität» bekommen hat, fiel Arin aus allen Wolken. Jetzt kämpft Arin für mehr Verständnis für trans Menschen in unserer Gesellschaft.

Als ich von meiner Krisenintervention in der Klinik nach Hause kam, war eines der ersten Dinge die ich tat, meinen Austrittsbericht zu lesen. Es interessierte mich einfach, ich glaube jeder liest gerne was andere über einen denken. Ich erwartete nicht, überrascht zu werden.

Als ich zu meinen Diagnosen kam, sah ich die erwarteten Worte, ich war informiert über die Resultate meiner Diagnostik, die ein grosser Teil meines Aufenthalts darstellte. Die letzte Diagnose war jedoch neu für mich: „Verdacht auf eine Störung der Geschlechtsidentität.“

Ich war schockiert. Klar, ich bin sehr offen, was meine Geschlechtsidentität angeht. Aber sie als eine Diagnose, also als eine psychische Krankheit zu sehen, entsezte mich.

Ich bin 19 Jahre alt und identifiziere mich seit mehr als zwei Jahren als non-binär. Ich fühle mich sehr gut damit, habe mich auch stark mit der Theorie auseinandergesetzt und bin sicher, dass dies der Begriff ist, den ich verwenden möchte, um mein Geschlecht zu beschreiben. Non-binär zu sein heisst, sich nicht den binären Geschlechtern, also Frau oder Mann zuzuordnen. Man fühlt sich also als ‘nichts’ oder ‘Beides’ oder einfach als etwas dazwischen oder dahinter.

Es ist für jede Person ein wenig anders und jede Person beschreibt es auch anders. Ich persöhnlich sage gerne, dass ich ‘nichts’ bin – geschlechts- und pronomenlos. Dabei spielt mein biologisches Geschlecht keine Rolle.

Nachdem ich mich ein bisschen an die Worte „Störung der Geschlechtsidentität“ gewöhnt habe, sprach ich meine Psychologin darauf an. Sie erklärte mir, dass sie die Diagnose geben mussten und, dass dies ein Standardprozedere darstelle. Wenn man nicht ein Mann im Körper einer Frau oder eine Frau im Körper eines Mannes ist und sich aber trotzdem unter dem Überbegriff ‘Transgender’ befindet, dann kriegt man diese Diagnose. Meine Geschlechtsidentität und die von Zehntausenden von Menschen wird also im klinischen Bereich immer noch als eine Störung angesehen.

Ich muss mich immer wieder mit Leuten herumschlagen, die meinen, dass sie besser wüssten als die Betroffenen und zahlreiche Wissenschaftler, ob meine Geschlechtsidentität existiert oder nicht. Während Sexualität in der Gesellschaft immer und immer normaler wird, sind Geschlechtsidentitäten immer noch ein Tabu. Insbesondere wenn man sich einem dritten, vierten oder fünften Geschlecht zugehörig fühlt, trifft man auf viel Umbehagen und noch mehr Stigmas.

Dass die Argumentationen gegenüber einer Nichtexistenz von ‘non-binär’ noch nicht mal auf einer biologischen Ebene standhalten können, ist dabei vielen egal. Dieses Totschweigen und Leugnen macht es für Leute, die sich selbst noch am Finden sind oft unmöglich, sich wertefrei auf eine Suche nach sich selbst machen zu können. Non-binär zu sein verschwindet hinter Hasskommentaren im Internet und Pseudo-Artikel, die behaupten, sie hätten wissenschaftlich fundierte Beweise, dass es hinter dem binären nichts gibt.

Sich dann hinstellen zu können und zu sagen: “Hey, dieser Begriff, den ihr alle so abwertet, passt aber zu mir”, erfordert Mut und ist für viele in dem feindlichen Umfeld, in dem man sich häufig befindet, unmöglich.

Ich muss sagen, dass ich schon das ständige Rechtfertigen der Existenz ätzend, gefährlich und unnötig finde. Aber die Haltung der Psychologie, dass meine Geschlechtsidentität eine Störung ist, etwas schädliches und nicht vorhanden sein sollte, finde ich um einiges schlimmer. Zu hören, dass der Fakt, dass ich mich zwischen den ‘offiziell anerkannten’ Geschlechtern befinde, gleichzusetzen ist mit Depressionen, Borderline und Bulimie unter denen ich seit Jahren leide, ist schwierig wegzustecken.

Die Stigmatisierung von etwas so Harmlosem, sollte nicht so stark sein. Es sollte doch nicht die Norm in unserer ach so fortgeschrittenen Gesellschaft sein, dass wir nur mit dem Kopf nicken, wenn etwas ‘Nichtexistentes’ als ‘Störung’ abgestempelt wird. Einfach nur, weil es einfacher ist, etwas abzuwerten, als zuzugeben, dass ein System an das wir uns gewöhnt haben, Fehler hat. Dabei liegt es in unserer Natur, Fehler zu machen und diese dann nach unseren besten Kräften wieder gutzumachen.

Für mich war mich selbst zu finden, meinen Namen meinem Geschlecht anzupassen und diesen dann allen zu sagen, etwas vom schönsten, was ich in meinem Leben getan habe. Ich habe vor Freude geweint, als der Brief kam, in dem stand, dass mein Name offziell derjenige ist, den ich für mich selbst ausgwählt habe und der zu dem passt, wie ich mich fühle. Und dann habe ich noch einmal geweint, als ich gespürt habe, dass sich mein Umfeld für mich freut und sich sogar die Mühe macht, einen Kuchen für meinen ‘neuen Geburtstag’ zu backen. Alle, die mir etwas bedeuten, haben mittlerweile akzeptiert, dass ich einfach nur ‘Arin’ bin, ohne jegliche Pronomen. Non-binär zu sein, ist für alle, die ich wirklich gerne mag okay.

Dann lesen zu müssen, dass etwas wie die Diagnose ‘Verdacht auf Störung der Geschlechtsidentität’ existiert und auch nach fortgeschrittenem Wissensstand immer noch wissenschaftlich anerkannt wird, trifft mich, als jemand, der/die sich als non-binär identifiziert, natürlich hart.

Stigmatisierung ist beinahe immer gefährlich, aber zu sehen, dass etwas was normalisiert sein müsste, als eine psychische Erkrankung abgestempelt wird, ist wie ein Schlag ins Gesicht. Leider kann ich momentan nicht viel daran ändern und ich werde wohl noch eine Weile mit dieser Diagnose auf meiner Liste leben müssen. Aber ich werde weiterhin dafür kämpfen, dass ‘non-binär’ und alle anderen Geschlechtsidentitäten unter dem Umbrellaterm ‘Transgender’ von der Gesellschaft anerkannt werden. Der erste Schritt dabei ist, weiterhin offen dazuzustehen, Fragen zu beantworten und aufzuklären.

Auch ich kann bloss sagen, dass ich weiterhin offen darüber reden werde. Und zwar sowohl über meine Geschlechtsidentität, als auch über meine Sexualität und meine psychischen Erkrankungen. Keines dieser Dinge sollte ein Tabu sein, aber das bringen wir nur weg, indem wir laut sind.

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