Wer vergewaltigt wurde, kämpft noch Jahre später mit den Folgen. Nicht selten kommt es vor, dass Betroffene weitere Übergriffe über sich ergehen lassen müssen. Sex wird zur Qual.
Kai hat mich vergewaltigt (Beitrag lesen). Und tiefe Spuren in mir hinterlassen. In den ersten Wochen nach der Tat realisierte ich nicht, was mit mir geschehen ist. Doch ich veränderte mich. Mein Selbstbewusstsein war auf dem Tiefpunkt. Ich kämpfte mit Depressionen, war am Boden, wollte nicht mehr leben. Die Ursache blieb mir damals schleierhaft. Das mag naiv klingen. In Tat und Wahrheit waren meine Schuldgefühle, dass ich an der Tat selbst schuld sei, der hemmende Grund, wieso ich die Vergewaltigung nicht als einschneidendes Erlebnis taxieren konnte. Ich sprach mit niemanden über das, was geschehen war.
Anstatt mich zurückzuziehen und den Männern vorerst den Rücken zu kehren, machte ich das Gegenteil. Klingt paradox. Ist aber heute einfach zu erklären: Ich fühlte mich einsam, mein Selbstwert war am Arsch und ich suchte im Aussen nach Anerkennung. Ich definierte meinen Wert über die Zuneigung anderer. Vor allem von Männern. Ich verfiel in eine Abwärtsspirale. Ohne Zuneigung, Anerkennung war ich nichts wert. Ich suchte nach Liebe, ich suchte nach jemandem, der mich nicht missbraucht, nicht verlässt. Was ich bekam, war alles andere als das.
Auf meiner verzweifelten Suche nach Geborgenheit gab ich mich vollkommen auf. In meinem Hirn hatte sich die Vorstellung manifestiert, dass ich den Männern alles geben muss, was sie möchten, damit sie mir Sicherheit und Zuneigung geben, damit ich schlussendlich nicht von ihnen verlassen werde. Heisst: Ich schlief mit Männern, mit denen ich gar nicht Sex haben wollte, nur weil ich dachte, dass ich so geliebt werden konnte.
Zwei Männer nutzten diese Verletzlichkeit schamlos aus. Der erste Mann, ich nenne ihn Carlos, gab mir immer wieder das Gefühl, dass er mich wirklich mag und, dass er eine Beziehung mit mir wollte. In Tat und Wahrheit stand er bereits kurz vor der Verlobung mit seiner Freundin und suchte bei mir ein Abenteuer. Ich wusste das nicht, es gab keine Anzeichen dafür, die mich auf diese Tatsache hätten bringen können. Ich liess alles, was Carlos mit mir machte, über mich geschehen, weil ich hoffte, dass er sich in mich verliebt. Dass ich dann endlich einen Mann an meiner Seite habe, der mir das gibt, wonach ich mich so sehr sehnte: Liebe.
Carlos missbrauchte mich. Er zwang mich immer wieder zum Sex, obwohl ich häufig gar nicht wollte. Einmal würgte er mich so fest, dass ich ohnmächtig wurde. Währenddessen vollzog er den Geschlechtsakt an mir. Jedes weitere Mal, bei dem Carlos Sex mit mir haben wollte und ich nicht, verfiel ich eine Schockstarre. Ich konnte mich nicht wehren. Ich konnte nicht einmal sprechen. Niemand half mir. Ich war Carlos komplett ausgeliefert.
Als ich mich endlich von Carlos loslösen konnte, begab ich mich ins nächste Disaster. Simon (Name geändert) war ein bekannter Schläger und vorbestraft. Ich weiss nicht, wieso ich mich diesem Mann hingegeben habe. Ich weiss heute nur, dass ich so verzweifelt nach Geborgenheit gesucht habe, dass ich mich, meinen Wert, ja mein ganzes Selbst aufgegeben habe. Vielleicht war es auch, weil ich dachte, dass ich es verdient habe, bestraft zu werden. Schliesslich hielt ich nicht viel von mir und gab mir an meiner Situation die volle Schuld.
Simon war schlimmer als Carlos. Simon schlug mich. Nach dem Sex waren meine Brüste voller Hämatome. Er drang so fest in mich ein, dass ich zum Teil nicht mehr laufen konnte. Ich liess alles über mich ergehen. Ich konnte mich nicht wehren. Wieder diese Schockstarre.
Nachdem Simon mich über Whatsapp mit einer Waffe bedrohte und mir sagte, dass er meinem Arbeitgeber ein Sextape von mir, das er heimlich aufgenommen habe, schicken würde, schaltete ich die Polizei ein. Ich erstattete Anzeige. Doch das verschlimmerte mein Leid um ein Vielfaches.
Nachdem ich auf dem Polizeiposten meine Aussagen getätigt hatte, rief mich der zuständige Staatsanwalt an. Er riet mir ab, das Verfahren weiter zu führen und riet, es zu sistieren. Grund: Simon sei ein bekannter Schläger. Wenn er ihn festnehme, was er hätte tun müssen, befürchte der Staatsanwaltschaft Rache. Er meinte, dass er mich dann nicht schützen könne.
Das Verfahren wurde sistiert. Ich hatte keine Kraft, es weiterzuführen – schon gar nicht, wenn nicht einmal der Staatsanwalt voll hinter mir stand.
Ich weiss bis heute nicht, ob meine Entscheidung die richtige war. Rückgängig machen kann ich sie nicht mehr. Die Taten von Simon sind verjährt. Alles was mir bleibt, ist, diese aufzuarbeiten und mich am Leben zu erhalten. Ich muss anfangen, mich wieder zu lieben. Denn ich bin es wert, geliebt zu werden. Unabhängig davon, ob ich Sex haben möchte oder nicht. Das zu akzeptieren, fällt mir heute noch schwer.