Mein Arbeitgeber hat mir noch während meiner Krankschreibung gekündigt. Das ist zulässig, zeigt aber wieder einmal, wieso die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen in den Müll gehört.
Die Worte trafen mich wie ein unvermittelter Faustschlag ins Gesicht. «Wir können uns eine Zusammenarbeit mit dir nicht mehr vorstellen», sagte mein Chef, jetzt ehemaliger Chef, in einem fast schon anmassend ruhigem Ton. «Es ist besser, hier einen Cut zu machen – für dich und für uns.» Ich war schockiert.
Wie kann ein Mensch solche Worte über seine Lippen bringen, wenn er weiss, dass sein Gegenüber an einer schweren psychischen Erkrankung leidet und in den letzten Monaten in der Klinik alles dafür getan hat, im Leben wieder Fuss zu fassen? Wie können solche Worte über seine Lippen kommen, wenn er hautnah miterlebt hat, wie ich ein Flashback erlitten habe? Wie kann ein Mensch solche Äusserungen tätigen, wenn er genau weiss, dass ich durch diese Kündigung den Boden unter den Füssen verliere?
Menschlich ist diese Kündigung ein Hohn. Sie zeigt nur zu gut, wie psychische Erkrankungen in der Gesellschaft stigmatisiert, ja man könnte sogar sagen nicht akzeptiert werden. Psychische Erkrankungen schaden der Wirtschaft. Sie schaden einem Unternehmen. Das Individuum, das psychisch erkrankt ist, ist nichts wert, ersetzbar und zu kostspielig. Es bringt keinen Erfolg, kein Geld, keinen Ruhm. Es bringt Aufwand.
Ich frage mich, ob mein Chef nachts noch ruhig schlafen kann. Denn er hat menschlich in ganzer Linie versagt. Er hat mich, einen Menschen, der gerade Hilfe und Verständnis braucht, einfach fallen gelassen. Mit voller Absicht. Statt nach Lösungen zu suchen, hat er den einfachsten Weg für sich gewählt.
Leider sind viele Menschen wie mein Chef. Sie verkennen die Herausforderungen, welche psychisch Erkrankte täglich meistern müssen. Sie lassen aussen vor, dass Unterstützung und Verständnis zu einer Heilung beitragen – und, dass es genau dies in unserer Gesellschaft braucht, um psychisch Erkrankte nicht an den Rand zu drängen und ihnen nicht das Gefühl zu geben, nichts wert zu sein.
Besonders traurig macht mich der Fakt, dass mein Chef mich zweimal in der Klinik besucht hat – und mir versprochen hat, mich wieder ins Unternehmen zu integrieren. Er hat sogar nach Alternativen gesucht, damit ich nicht direkt dort einsteigen muss, wo ich ausgestiegen bin, um mir einen «sanften Start» zu ermöglichen. *Die Gesundheit geht vor. Lass dir alle Zeit der Welt, um zu heilen. Wir finden eine Lösung.» Alles leere Worte.
Die leeren Versprechungen meines Chefs haben mich davon abgehalten, nach Alternativen zu suchen. Diese hätten sich mir geboten – und ich hätte sie in der Klinik angehen können. Nun bin ich wieder zu Hause. Ich dachte, dass ich nächste Woche wieder arbeiten gehe. Und jetzt schwebe ich im luftleeren Raum, voller Zukunfts- und Existenzängste. Ich weiss, dass ich wieder einen Job finden werde. In dem Zustand, mit diesem niedrigen Selbstvertrauen wird das aber eine Herkulesaufgabe. Ich habe Angst davor.
Mir sind die Hände gebunden. Ich muss weitermachen. Die Kündigung lässt sich nicht anfechten. Wenn man im ersten Arbeitsjahr 30 Tage krank war, ist es dem Arbeitgeber erlaubt, eine Kündigung auszusprechen. Ich frage mich, und ich glaube, dass diese Frage sehr berechtigt ist, ob mir auch gekündigt worden wäre, wenn ich mir eine schwere körperliche Verletzung zugezogen hätte.
Mich enttäuscht nicht nur das Verhalten meines Chefs, sondern auch das meiner Arbeitskollegen. Die Passivität, mit der sie die Nachricht meiner Kündigung aufgenommen haben, zeigt, dass sich eben doch jeder selbst am nächsten ist. Doch gerade wenn Ereignisse wie dieses hier passieren, liegt es doch an uns Menschen, nach Gerechtigkeit zu streben. Denn das war nicht das letzte Mal, dass einem Mensch in Not gekündigt wurde. Wenn diese Praxis geduldet wird, wird sie sich nicht ändern.
Es liegt an uns allen, gegen solch moralisch niederträchtige Kündigungen vorzugehen und den Arbeitgebern zu zeigen, dass dies nicht in Ordnung ist. Denn wer weiss schon, ob man nicht selbst irgendwann im Leben eine psychische Erkrankung erleidet und dann selbst vom Goodwill des Arbeitgebers abhängig ist.
Ich möchte weiterkämpfen. Dieser Blog gibt mir Mut, dass ich fähig bin, die Einstellung einiger Menschen beeinflussen zu können und so die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen anzugehen – und vielleicht zu einem kleinen Teil aus der Welt zu schaffen. Ich gebe nicht auf. Wenn du mich in meiner Arbeit unterstützen möchtest, kannst du mich und mein Projekt gerne finanziell unterstützen (Euro und Schweizer Franken). Vielen lieben Dank!