Valérie hat schon mehrere stationäre Aufenthalte in einer psychiatrischen Klinik hinter sich und demnach schon einige Leute mit einem ähnlichen Schicksal kennengelernt. Sie schreibt, wieso sie von zu tiefgründigen Beziehungen abrät.
Kommt es zu einem stationären Aufenthalt in der Psychiatrie, sieht dieser organisatorisch dem eines somatischen Krankenhauses recht ähnlich: eine Abteilung mit mehreren Zimmern, Pflegepersonal, Fachleute und pro Zimmer 2-3 Patient*innen. Allerdings besteht der Unterschied darin, dass die Personen in der Regel nicht bettlägerig sind, sich auf der Station aufhalten, bewegen und miteinander Zeit verbringen. Da lernt man sich schnell besser kennen und kommt sich unter den Patient*innen näher.
Auf der Station, auf welcher ich war, waren 13 Frauen zwischen ca. 16 – 30 Jahren. Alle hatten mehr oder weniger ähnliche Probleme: Borderline, PTBS, Abhängigkeiten. Nur schon durch das hatte man also etwas gemeinsam. Schnell kommt man in Kontakt mit den Zimmernachbarinnen, durch die verschiedenen Gruppentherapien wird man zügig integriert und nach einigen Tagen kennt man alle.
Am Abend werden Spiele gespielt oder Filme geschaut, es bilden sich Grüppchen, man redet über Beziehungen und alltägliche Dinge, geht zusammen in die Stadt oder backt einen Kuchen. Das mag schön und ein bisschen nach Ferienlagerstimmung klingen. Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, dass alle wegen eines Grundes auf der Station sind. Niemandem geht es einfach nur super, jede hat Momente welche schwierig sind, wo Tränen fliessen oder ein Problemverhalten zutage kommt. Wie gehe ich als Mitpatientin damit um? Wie reagiere ich? Muss ich für alle da sein?
Wenn es jemandem wirklich schlecht geht, dann sollten die Mitpatientinnen nicht die Verantwortung übernehmen, sondern eine Fachperson holen. Dies aus dem Grund, dass es eigentlich nicht das Bier anderer ist und jeder für sich selbst verantwortlich ist, Hilfe zu holen. Auch weil das Stationsteam nicht will, dass man sich mit den Problemen anderer beschäftigt statt mit den eigenen, oder sich mit hinunterziehen lässt.
Manchmal ist das recht hart, wenn eine Freundin weint. Dann gehe ich ja auch hin und schaue zu ihr. Aber genau da ist der Punkt: die Mitpatientinnen sind nicht meine Freundinnen. Natürlich können sich schöne Beziehungen ergeben, meine mittlerweile beste Freundin habe ich auch in der Klinik kennen gelernt, jedoch ist dies eher die Ausnahme und nicht unbedingt empfohlen.
Selbstverletzung ist auch ein grosses Thema auf der Station, von welchem es gilt, sich abgrenzen zu können. Immer wieder sieht man bei jemandem Narben oder Wunden, an allen möglichen Körperstellen. Wenn sie nicht offen sind, muss man sie auf der Station nicht abdecken, und das befürworte ich grundsätzlich. Niemand soll sich verstecken müssen und alle Mitpatientinnen können zumindest ansatzweise nachvollziehen, wieso sich jemand selbst verletzt.
Wenn man jedoch selber von SVV betroffen ist, kann es einem auch triggern, ständig Narben und Verbände zu sehen. Da ist es wichtig, dass man sich abgrenzen kann, bei sich bleibt oder im schlimmsten Fall die Person anspricht und bittet, ob sie es abdecken kann.
Immer wieder wird auf der Station auch konsumiert. Es gab mal eine Phase, da hatten mehrere Patientinnen ein Problem mit dem Kiffen. Statt sich jedoch gegenseitig zu unterstützen und ermuntern, clean zu bleiben, gingen sie ständig zusammen raus und organisierten sich Stoff. Keine der damals Betroffenen grenzte sich von der Gruppe ab und war überzeugt genug, nicht mehr zu konsumieren. Natürlich ist es verständlich, dass es schwierig ist, sich allein von einer Gruppe abzulösen, trotzdem wird der individuelle Erfolg massiv reduziert, wenn sich die Patientinnen von anderen mitziehen lassen. Soviel mir bekannt ist, ist keine dieser Personen heute clean…
Diese und viele weitere Beispiele sind Situationen, wo die Abgrenzung unter den Patientinnen eine wichtige Rolle spielt. Bei einem Eintritt sollte man sich meiner Meinung nach bewusst sein, was man persönlich erreichen will und was das Ziel ist, damit man auch weiss von was man sich abgrenzen muss, wo Trigger sind und was einem nicht guttut. Es ist schön und hilfreich, Gleichgesinnte um sich zu haben, jedoch sollten die Grenzen auch da nicht zu stark verwischt werden, denn schlussendlich ist jede wegen sich selber und den eigenen Problemen auf der Station.