Psychisch Erkrankte haben oft Probleme mit dem Thema Essen. Sei es, weil sie nicht können, keinen Appetit mehr haben oder das Gegenteil: Zu viel Appetit und damit verbundene Fressattacken (auch Binge Eating genannt). Letzteres betrifft auch mich. Wie ich dagegen ankämpfe.
Ich bin angespannt, müde, erschöpft. Mein Tag war wieder so anstrengend. Heute tue ich mir was Gutes. Ich bestelle Pizza und ein leckeres Dessert. Dabei bleibt es aber nicht: Schokolade, Kekse, Kucken – alles, was herumsteht wird verputzt. Ich habe das Gefühl, dass sich meine Anspannung nur so lösen lässt.
Ein Abend, wie er oft geschieht. Während andere nach dem Essen ihre Rauchsucht befriedigen, esse ich. Ich bin süchtig nach Essen. Egal ob ich hunger habe oder nicht, essen tut mir gut, meine ich. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Ich schade mir durch zu viel Essen. Es ist auch eine Art Selbstverletzung, die einem die Spannung wegnimmt, langfristig aber alles andere als sinnvoll ist.
In den letzten drei Jahren habe ich 30 Kilogramm durch solche Essanfälle und durch das Denken, dass ich mir mit Trash-Food etwas Gutes tue, zugenommen. Ich schmäme mich für meinen Körper. Ich gehe seit langem nicht mehr baden, mich sonnen oder öffentlich Sport machen. Durch mein Essverhalten nehme ich nicht nur zu, ich gerate in die soziale Isolation und vermeide Situationen und Aktivitäten, die mir helfen würde.
Gerade wir psychisch Erkrankten sind besonders gefordet, wenn es ums Thema Selbstwert, Selbstakzeptanz und Vermeidung geht. Dass es uns gut gehen kann, hängt fest davon ab, dass wir uns anfangen, selbst zu mögen und, dass wir nicht in den Rückzug geraten oder uns unseren Herausforderung stellen.
Auf Anraten meiner Psychologin in der Klinik habe ich mich deshalb entschieden, eine Adipositas-Therapie (Übergewicht) zu beginnen. Mit Hilfe eines Teams von Ärztinnen und Ernährungsberater will ich mein Gewicht reduzieren. Die Kosten dafür übernimmt ab einem gewissen BMI die Krankenkasse.
Am Dienstag war es dann endlich so weit: Mein erstes Treffen mit dem Arzt. Begrüsst wurde ich von zwei Frauen am Empfang, die mich baten im Wartezimmer Platz zu nehmen und auf einem IPAD ziehmlich persönliche Angaben über mich machen musste. Als ich zum Gewicht- und Fettanteilmessen geholt wurde, wollte ich am liebsten im Boden versinken. Entsprechend froh war ich, als mein Arzt mich in sein Sprechzimmer bat.
Er fragte mich erneut praktisch die identischen Fragen, die ich bereits zuvor auf dem IPAD beantwortet habe. Dann klärte er mich über die weitere Vorgehensweise auf: Essenstagebuch führen, Sport, Sport, Sport und Ernährungsumstellung. Ich wusste, dass mir das blühte, habe aber bis zum Schluss gehofft, dass ich einfach eine Wunderpille schlucken kann, die mich schlank zaubert.
Eine solches Medikament gibt es ansatzweise. Es ist unglaublich teuer, 100 Franken in der Woche. Man muss es sich spritzen, dadurch wird der Heisshunger gemindert. Und: Die Krankenkasse muss zustimmen. Dafür setzten sie ein Ziel und Limit: Innert drei Monaten müssen 5 % des Körpergewichts (bei mir zirka 6 Kilo) reduziert sein, sonst wird das Medikament nicht mehr bewilligt. Um dieses Ziel zu schaffen, braucht es neben dem Medikament Sport und eine gute Ernährung.
«Sie haben leider nur eine Chance», meinte der Arzt. Deshalb schlug er vor, dass ich mir das nochmals in Ruhe überlegen soll, ob ich das wirklich möchte. Zudem sagte er mir, dass ich bis zu unserem nächsten Treffen anfangen soll, Sport zu treiben und gesund zu essen. «Dann sehen sie bereits, ob sie das wirklich möchten», sagte der grossgewachsene Mann. Die Therapie sei nämlich nicht ganz ohne und erfordert viel Wille.
Als ich aus dem Gebäude des Spitals tratt, war mir bereits klar: Ich möchte es versuchen. Ich bin in den nächsten Coop gerannt, habe mir Broccoli, Kohl und anderes Gemüse gekauft. Der erste Schritt war getan. Am Abend gab es Fisch, mit Gemüse und Reis. Es war das erste Mal seid langer Zeit, dass ich wieder gekocht habe. Das Dessert liess ich mi viel Durchhaltewille aus. Bisher klappt diese Strategie mit einigen Ausnahmen gut.
Und auch der Vorsatz mehr Sport zu treiben, konnte ich umsetzen: ich lud mir eine App namens «Seven» herunter, um Krafttrainingseinheiten vorgedrillt zu bekommen.
Bisher läuft alles nach Plan. Ich weiss, dass es das nicht immer tun wird. Es wird Höhen und Tiefen geben – auch vor allem dann, wenn meine psychische Verfassung mir einen Strich durch die Rechnung macht. Aber mein Wille ist so stark, endlich etwas zu ändern, dass ich mir die Therapie zutraue – mit der Hoffnung, dass mir mein zukünftiger Körper dankbar ist und mein Selbstwert erhöht wird.