Tod von Kasia Lenhardt: Ein Totalversagen unserer Gesellschaft

Mit 25 Jahren hat Ex-GNTM-Model Kasia Lenhardt sich das Leben genommen. Das öffentliche Interesse ist riesig – und spiegelt das Totalversagen unserer Gesellschaft in Bezug auf Depressionen und das Recht der Frauen wider.

Dieser Text kann Menschen mit Suizidgedanken triggern. Falls du Hilfe brauchst, melde dich bei Fachpersonen:

Schweiz: Dargebotene Hand unter der Nummer 143

Deutschland: Info-Telefon Depression unter der Nummer 0800 / 33 44 533

Österreich: Telefonseelsorge unter der Nummer 142

Ich bin unendlich traurig und wütend. Traurig, weil es gestern zu einem Suizid gekommen ist, bei dem sich die 25-jährige Kasia Lenhardt, bekannt als EX-GNTM-Model und Mutter eines 6-jährigen Sohnes, das Leben genommen hat. Sie war jung, schlau, witzig und hatte ein grosses Herz. Sie war nicht «nur» die Ex-Freundin von Fussballer Jérôme Boateng, worauf sich die meisten Medien stützen. Sie war viel, viel mehr.

Kasia litt an Depressionen. Ein Fakt, den die Medien kurz nach ihrem Tod kaum thematisiert haben. Das macht mich unheimlich wütend. Denn viele Medien suggerieren in ihrer Berichterstattung, die Schlammschlacht um die Trennung zu Boateng sei der Auslöser gewesen. Doch so einfach ist es nicht. Und es ist anmassend, wenn jemand sich befugt sieht, solch einen Schluss zu ziehen.

Leiden im Dunkeln

Menschen mit Depressionen sieht man ihre Krankheit oft nicht an. Sie leiden im Dunkeln. Oftmals fällt es ihnen schwer, Hilfe zu holen. Das ist aber essentiell. Denn Suizidgedanken, die Teil einer Depression sein können, können mit professioneller Unterstützung therapiert werden. Gerade in akuten Situationen ist es wichtig, darüber zu sprechen. Suizid ist eine Kurzschlusshandlung.

Die Mehrheit der Menschen, die einen Suizid überlebt haben, sind froh, haben sie die Chance auf ein neues Leben bekommen. Auch wenn du gerade in einer Situation bist, in der dich Suizidgedanken beschleichen: Rede darüber. Hol dir Hilfe. Chatte mit Freunden, mit Fachpersonnen oder telefoniere mit jemanden, den du lieb hast.

Totalversagen der Gesellschaft

Wir leben in einer Gesellschaft, in der psychische Erkrankungen, Störungen und das Thema Suizid immer noch stark tabuisiert werden. Betroffene kämpfen jeden Tag gegen Stigmatisierungen und Diskriminierungen. Das hindert Menschen daran, sich Hilfe zu holen. Sie bagatellisieren ihr Leiden, weil die Gesellschaft ihre Krankheit bagatellisiert. Und man will nicht als schwach abgestempelt werden.

Diese gesellschaftliche Haltung muss sich ändern. Dafür können wir Betroffene sorgen, in dem wir uns zusammenschliessen, und solidarisieren, das Thema öffentlich machen und den Menschen zeigen, dass wir alles andere als schwach sind. Wir sind Kämpferinnen und Kämpfer, die ein schlimmes Schicksal erleben. Wir sind stark, weil wir uns Hilfe holen.

Mediale Unfähigkeit

Ich habe so eine unglaubliche Wut im Bauch. Zum einen, weil ich das Verhalten des Ex-Freundes und Fussballers Jérôme Boateng widerlich finde. Er war es, der das Ende seiner Beziehung öffentlich in einem Interview mit der «Bild»-Zeitung ausgeschlachtet hat. Er sagte etwa: «Kasia wurde meine Freundin, indem sie die Beziehung zu meiner Ex-Freundin Rebecca und meiner Familie zerstörte und mich erpresste.» Oder: «Also beschloss ich, bei Kasia zu bleiben und zu versuchen, dass es funktioniert. Sogar die Beziehung zu ihr öffentlich zu machen, war auf Druck von Kasia zurückzuführen, dies zu tun. Es war nicht von mir.»

Solche Aussagen machen mich als Frau sprachlos. Solche Aussagen zeugen davon, dass der Fussballer keine Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Es sind Sätze, die sich wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen müssen. Ich frage mich: Warum muss ein 32-jähriger Mann seine Trennung so öffentlich ausschlachten und sich selbst als Opfer zelebrieren? Wieso hat ein Mensch ein solches Verlangen, eine Frau öffentlich zu demütigen?

Und sie lernen nicht daraus

Darüber zu sprechen, dass «Bild» solche Aussagen abdruckt, ist völlig sinnlos. Das Blatt und viele andere Medien, die diese Aussagen übernommen haben, nehmen ihre Verantwortung, die sie in der Gesellschaft aufgrund ihrer Reichweite haben, kein bisschen wahr. Sie versagen. Und sie lernen nicht daraus. Mit dem Resultat, dass sich Menschen wie Kasia Bedrohungen und Beleidigungen von zig tausenden Menschen ausgesetzt sehen müssen. Ein Shitstorm, der nicht aufzuhalten ist.

Anstatt Kasia den Platz den sie verdient hat, einzuräumen, berichten Medien ungeniert über ihr Leben: Sie veröffentlichen private Sprachnachrichten, sprechen mit Menschen, welche die 25-Jährige weiter denunzieren oder berichten darüber, welche Schönheitseingriffe das Model bereits getätigt habe. Klickgesteuert und ohne Rücksicht auf Verlust. Ein Totalversagen.

Versagt haben auch die Menschen, die sich das Recht herausnehmen, andere Menschen mit bösen Nachrichten und Kommentaren einzudecken – ohne dabei genau zu wissen, was wirklich geschah. Das ist Mobbing der übelsten Art und gehört aus unserer Gesellschaft entfernt – denn es kann tödlich enden.

Jetzt gilt es ein für alle Mal: Die Gesellschaft und die Medien müssen ihre Verantwortung im Umgang mit psychischen Erkrankungen und Störungen – wie Depressionen, Borderline, Bipolarität und PTBS – endlich wahrnehmen. Solche Hetzkampagnen gehören in den Müll. Und ernsthafte und nachhaltige Diskussionen über Suizid und was wir dagegen tun kännen aufs Tapet.

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